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Ein Licht, das die Irre vertreibt

 

“Ich sehe rein gar nichts! Götter, steht mir bei.”, fluchte Jido in den Wald hinein. Er mochte zwar ein gelernter Jäger sein, aber das gab ihm nicht die Möglichkeit, im Dunkeln zu sehen. Er war immernoch ein Mensch.

“Kretan hatte Recht, nachts zu jagen sollte man den Elfen überlassen. Die sehen wenigstens was in dieser Suppe.”

Der Wald war dicht und der Regen vom Tag machte es nicht leicht, auf dem schlammigen Boden zu laufen. Jido rutschte mehrfach aus und fluchte jedesmal vor sich hin. Was er nicht wusste war, dass er sich weiter und weiter von seinem Heim entfernte.

 

Die weiten Wiesen und Felder waren grün und leuchteten im Tageslicht. Die hohen Gräser wogten im Wind und in der Ferne sah man Wild im Wald verschwinden.

Jido blinzelte verwirrt und blieb erschrocken stehen. “Was zum…?”, er schüttelte den Kopf.

 

Jidos Hütte stand, so wie sie es immer tat, am Ende eines provisorischen Pfades, der ins Feld getreten war. Aus dem Kamin stieg eine hellgraue Rauchwolke, der Ofen wurde gerade angefeuert, wahrscheinlich war Kretan dabei zu kochen. “Ngaah!”, wieder schüttelte Jido den Kopf. Was auch immer mit ihm geschah, es machte ihm Angst.

“Verschwindet!”, schrie er in den Wald hinein und schwang sein Messer in die Finsternis. Hin und her ließ er die Klinge schweifen, bis sie einen Baum traf. “Verdammt!”, rief er aus.

 

“Beruhig dich, mein Lieber”, ertönte eine vertraute Stimme in seinem Kopf. Wie angewurzelt stand Jido in der Dunkelheit. “Folge meiner Stimme, Liebling. Ich weiss, du schaffst es.”, erklang die Stimme wieder.

“M-...M-...Mutter?”, stotterte der Jäger vor sich hin. Jido wurde von Erinnerungen an seine Kindheit überwältigt. An die Zeit, als seine Mutter noch lebte. An die Zeit vor dem Krieg gegen das Chaos.

 

Inmitten der Dunkelheit erschien Jido ein kleines Licht. Lila, dann rot, dann gelb, dann blau, dann grün. Durch die Luft wabernd, hin und her taumelnd, kam die kleine Kugel immer näher auf ihn zu. 

Das ist mein Ende. Hier und jetzt holen mich die Ahnen zu sich. Dachte Jido sich. Der kalte Angstschweiß lief ihm durchs Gesicht. Er konnte sich nicht bewegen. Seine Beine wollten ihm nicht gehorchen und seine Arme waren wie eingefroren an den Griff des Messers geheftet.

 

Auf dem Tisch stand ein Topf, gefüllt mit einem dicken, stückigen Eintopf. Jido hätte schwören können, dass er selbst den Geruch von damals wieder in der Nase hatte. Plötzlich sah er wieder nur den dunklen Wald vor sich, durchbrochen  von der einzelnen, kleinen Leuchtkugel direkt vor seinem Gesicht.

Jido schluckte schwer, ließ von seinem Messer ab und trat auf die Kugel zu. Er streckte die Hand aus und griff nach dem Licht. Zu seinem Erschrecken griff er durch die Kugel hindurch, als wäre sie nicht wirklich dort. “Mutter? Bist du das?”, fragte Jido ängstlich vor sich hin.

 

Das Licht schwebte an ihm vorbei, weiter in die Richtung aus der er kam. Jido sah dem Licht hinterher, dann wieder in seine ursprüngliche Richtung, drehte sich schlussendlich um und folgte der Kugel.

Ich träume. Ich träume! Mutter ist seit Jahren tot! Das kann sie nicht sein. Niemals!

Vor ihm gab es nur Dunkelheit. Das kleine Licht, dem er folgte, erleuchtete nur einen kleinen Umkreis um sich herum. Hier und da konnte Jido Bäume erkennen, ab und an einen Ast, der quer auf dem Boden lag. Darüber bin ich also eben gestolpert.

 

Im Kerzenschein konnte man kaum erkennen, wie Jido aus seinem Fenster rannte. Die Kerzen im Hauptraum der Hütte schienen stärker zu leuchten, als würden sie auf Jido reagieren.

“Mamaaaa! Da ist ein Monster unter meinem Bett!” - “Wirklich? Na dann wollen wir dieses Monster doch mal eines Besseren belehren.”

Beide traten zurück in Jidos Zimmer, Jido hielt sich am Kleid seiner Mutter fest und versteckte sich hinter ihr.

 

Ein Lächeln zeichnete sich auf Jidos Gesicht, auch wenn man es in der Dunkelheit der Nacht nicht sehen konnte. Ebenso wenig wie die einzelne Träne, die über sein Gesicht kullerte.

Die kleine Kugel aus Licht schlängelte sich weiter durch das Unterholz, Jido ihr dicht auf den nicht existenten Fersen. Für mehr als eine Stunde folgte er dem Licht durch die Dunkelheit.

 

Als Jido zwischen den Bäumen flackerndes Licht erkannte, begann sein Herz schneller zu schlagen. Er hatte es aus dem Wald heraus geschafft, es mag zwar nicht sein Heim sein, aber wenigstens konnte er die Nacht hier verbringen.

Götter, seid gelobt! Ich bin endlich aus diesem dämlich Wald heraus.

Jido drehte sich um und sah die Lichtkugel am Waldesrand schweben. “Danke, Mama.”, sagte er mit Tränen in den Augen und einem Lächeln im Gesicht.

 

Als Jido an die Tür klopfte, sah er ein letztes Mal in Richtung Wald. Die Kugel war verschwunden und Jido wurde von zwei Armen in die Hütte gezogen. “Wo warst du? Ich dachte schon, du wärst verschwunden!”, schluchzte Kretan, als sie Jido umarmte. “Kretan? Wie bist du-...”, holte Jido zur Antwort aus, als er bemerkte, dass er in seinem eigenen Heim stand.

 

Das Feuer im Ofen brannte stärker, als Jido klar wurde, dass er Zuhause war. Und noch stärker, als er vor Freude seine Frau umarmte.

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